Bukavu, Mai 2009
Von Jean‐Paul Ngongo und Venantie Bisimwa Nabintu wurde ich am 24. Mai an der ruandisch‐kongolesischen Grenze abgeholt und in das Zentrum von Bukavu begleitet. Wie auch heute, bestand zu diesem Zeitpunkt durch das Auswärtige Amt absolute Reisewarnung für den Kongo. Schon bei meiner Einreise wurde mir sehr deutlich gemacht, dass ich Bukavu aufgrund der Sicherheitslage nicht verlassen darf. Bei meiner Ankunft wurden gerade die Leichen eines Massakers nach Bukavu gebracht, das am Tag vorher sieben Kilometer von der Stadt entfernt stattgefunden hatte. 80 Tote.
Bukavu liegt an der südlichen Spitze des Kivu‐Sees, direkt an der Grenze zu Ruanda, und ist somit umittelbar durch den Kongokonflikt betroffen. Aufgrund der starken militärischen Unruhen in der Region ist die Stadt vom Umland mehr oder weniger abgeschlossen. Die Landwirtschaft in der Region ist fast völlig stillgelegt, da die Frauen nur unter höchsten Risiken ihre Ländereien bestellen können. Täglich werden hunderte vergewaltigt. Die wichtigsten
Die Stadt ist arm, die Straßen sind von Schlaglöchern durchsetzt, barfüssige Frauen tragen zentnerschwere Säcke mit Kohlen durch die Straßen, schmutzige Lebensmittel werde auf dem Markt verkauft. Ein paar Europäer sieht man und einige reiche Kongolesen mit bombastischen Geländewagen, die in riesengroßen, aus der belgischen Kolonialzeit stammenden Villen, mit Blick auf den Kivu‐See leben. Woher sie ihren Reichtum haben, frage ich Jean‐Paul Ngongo und Venantie Bisimwa Nabintu. Vom Handel mit den Rohstoffen natürlich, so die Antwort. Was machen die Europäer hier? ‐ Sie kommen und gehen. Keiner weiß, was sie tun. Ändern tut sich dadurch nichts, so Jean‐Paul Ngongo. Ansonsten ist das Straßenbild geprägt durch zahlreiche verschiedene Milizengruppen. Sie tragen blaue, grüne, ockerfarbene oder violette Uniformen. In offenen Lastkraftwägen werden sie in die Stadt gefahren, sie patrouillieren durch die Straßen, dirigieren scheinbar willkürlich Autos und Passanten. Immer haben Sie große Gewehre bei sich und Munition, die ihnen schräg über den Oberkörper hängt. Am Straßenrand sehe ich etwa 10 verstaubte Militärfahrzeuge stehen. Räder, Spiegel, Lenkrad – alles fehlt. Jean‐Paul Ngongo erklärt, dass diese Fahrzeuge Belgien vor vier Monaten den Regierungstruppen geschenkt hat, die die Region befrieden sollen. Diese haben alle Einzelteile abmontiert und verkauft. Alltag im Kongo. Am nächsten Tag besuche ich die Organisation Women's Network for Justice and Peace (RFDP) von Venantie Bisimwa Nabintu. Ihr kleines Büro liegt im obersten Stockwerk eines alten Stadthauses. Venantie Bisimwa Nabintu redet sehr schnell und erregt. Sie beschreibt, den anhaltenden Konflikt mit den Milizengruppen. Sie erklärt, dass für den wirtschaftlichen Aufschwung in Ruanda der Kongo ausgebeutet wird. Dass die internationale Gemeinschaft kein Interesse an der Beilegung dieses Konflikts hat, weil sie von den Rohstoffen profitiert und abhängig ist, die sie über die Nachbarländer des Kongos – insbesondere über Ruanda und Uganda beziehen. Sie spricht über die Frauen, die täglich zu hunderten von den Milizen vergewaltigt werden und denen sie versucht beizustehen. Ihr Ziel ist, dass die Frauen selbst politisch aktiv werden, um sich für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen. Die Organisation bietet Alphabetisierungskurse an, dokumentiert die Verbrechen an Frauen, setzt sich ein für ihre Rechtsbildung, sendet Radiobeiträge, organisiert politische Kampagnen, vergibt Mikrokredite und leistet psychosoziale Hilfe und Rechtsbeistand für die Betroffenen. Während der halben Stunde, die ich mit Venantie Bisimwa Nabintu spreche, kommen drei vergewaltige Frauen in das Büro, um Hilfe durch das RFDP zu erhalten. Sie sprechen nicht mit mir, aber in ihren Gesichtern lese ich Scham, Schmerz, Verzweiflung und Erniedrigung. Unser Treffen wird durch Lärm auf der Straße abrupt unterbrochen. Wir eilen auf den Balkon und sehen eine Menge von aufgewühlten Passanten, die sich gegen bewaffnete Milizen wehren. Glücklicherweise legt sich der Tumult nach einigen Minuten und wir können das Haus verlassen. Der nächste Besuch führt in das Büro der Organisation Voix des sans voix et liberté (VOVOLIB) von Jean‐Paul Ngongo. Mit ähnlichen Mitteln wie Venantie Bisimwa Nabintu versucht auch er, den vergewaltigten Frauen zur Seite zu stehen. Seine Organisation setzt sich ein für Öffentlichkeitsarbeit ‐ hat sogar eine eigene kleine Radiostation gegründet ‐ leistet Rechtsbeistand, psychosoziale Hilfe, wirtschaftliche Unterstützung und medizinische Versorgung. Jean‐Paul Ngongo hatte im letzten Jahr sogar Besuch von der Zeit‐Journalistin Andrea Böhm. Sie schreibt über den Besuch: „Jean‐Paul Ngongo [...] überschlaÅNgt die Zahlen [von Vergewaltigungen] für die vergangenen Jahre. 1999 wurde VOVOLIB gegründet, bis „2005 haben wir etwa 40.000 Fälle registriert. 2007 waren es 3216.“ Die Dunkelziffer liegt höher. [...] Sie könnten ihre Provinz‐Teams verstärken, wenn sie ein wenig mehr Geld hätten. „Mit 60.000 Dollar müssen wir auskommen“, sagt Basimika, eine 25 jährige Betriebswirtin, die für VOVOLIB die Finanzen verwaltet. Das macht 5000 Dollar im Monat. Damit lassen sich gerade mal Büromiete, Benzin‐ und Telefonkosten abdecken. Beide wirken, als hätten sie 48 Stunden nicht geschlafen, als halte sie ein Dauerschock im Zustand erschöpfter Wachsamkeit. Ngongo fingert die Statistiken über Gerichtsverfahren aus seinem Ordner. Vergewaltigung wird nach kongolesischem Strafrecht mit fünf bis 20 Jahren Haft bestraft. Das heißt nichts in einem Land mit einer notorisch korrupten Justiz. Für 2007 haben die Mitarbeiter von VOVOLIB 64 Vergewaltigungsprozesse gezählt – und den Klägerinnen mit Rat und Tat und auch Personenschutz zur Seite gestanden. In vierzehn Fällen, sagt Ngongo, seien Urteile ergangen. Neun Haftstrafen wurden verhängt. Vier Verurteilte seien im Gefängnis. Und die anderen? „Haben Richter, Polizisten oder Gefängniswärter bestochen.“ Er zieht sein Handy aus der Tasche, klickt Text‐Nachrichten der vergangenen Wochen an. Es sind unverhohlene Morddrohungen von Männern, die wegen Vergewaltigung angezeigt worden sind. Die meisten auf Swahili, einige auf Französisch. „Klage? Das werdet Ihr mit Eurem Blut bezahlen.“ Oder: „Du kennst die Spielregeln. Jetzt gibt es keine Gnade mehr.“ Nach jeder Drohung gibt Ngongo die Nummer des Absenders an die Polizei weiter. Ein Ritual ohne Folgen. Dann sagt er so leise, dass ich ihn fast nicht verstehe: „Eine unserer Prozessbeobachterinnen ist letzte Woche ermordet worden. Sie müssen entschuldigen, wir sind etwas durcheinander.“ Wabiwa Kabisuba war 27 Jahre alt, Mutter von vier Kindern, seit Jahren bei VOVOLIB aktiv, wo sie vergewaltigte Frauen betreute und diejenigen, die ihre Täter anzeigen wollten, zu Polizei und Gericht begleitete. Am 18. Mai, so erzählt Ngongo, hätten acht Uniformierte Kabisuba gegen Mitternacht aus ihrem Haus gezerrt und erschossen. Die anderen Mitarbeiter von VOVOLIB übernachten bis auf weiteres nicht mehr in ihren Häusern. Aber sie arbeiten weiter. Vor drei Tagen haben sie den Fall zweier Mädchen aufgenommen, die eine vier, die andere fünf Jahre alt, die von ihrem Nachbarn vergewaltigt worden seien. Auch hier, sagt Ngongo, verbreite sich wie in Südafrika der Wahn, wonach Männer meinen, sich durch Sex mit Jungfrauen von AIDS heilen zu können. Deswegen, glaubt Ngongo, steige die Anzahl kleiner Mädchen unter den Opfern. Der Nachbar der beiden Mädchen wurde ausnahmsweise prompt verhaftet. Dann gab seine Familie offenbar einen Umschlag mit Geldscheinen bei der Polizei ab. Gestern hat Jean Paul Ngongo den Mann auf der Straße gesehen. Einen Prozess wird es vermutlich nie geben.“ (Zeit online, 12.06.2008) Ich erlebe bei VOVLIB ähnliches. Blättere durch die dicken Akten von dokumentierten Vergewaltigungen und ziehe Weihnachtspostkarten von amnesty international aus alten Schuhkartons. Über 500 Stück bekam die Organisation letztes Jahr gesendet. Solidaritätsbeweise, zumeist aus den Niederlanden. Seit dem Vorfall mit der ermordeten Juristin hat ai VOVOLIB unter ihren Schutz genommen. Jean‐Paul Ngongo ist sehr froh darüber. Ich frage ihn, ob er trotzdem manchmal Angst hat... er lacht leise. Er hat nicht nur Angst um sich, auch seine Frau und seine sieben Kinder erhalten Morddrohungen. Jeden Tag.
Abends besuchen wir noch die belgisch‐kongolesiche Frauenrechtsaktivistin Christine Schuler‐Deschryver. Sie erinnert sich an mich von der Konferenz in Berlin und lacht ein bisschen verlegen, als ich sie an ihre engagierte und anklagende Wortmeldung bei der Podiumsdiskussion erinnere. Aber sie steht zu allem, was sie gesagt hat. Auch sie setzt sich für die Frauen im Ostkongo ein und bemüht sich dabei v.a. um internationale Unterstützung aus der Politik. Doch außer Lippenbekenntnissen fließt anscheinend nicht viel konstruktive Hilfe. Sie wirkt müde und angespannt. Später erzählt mir Jean‐Paul, dass sie unter Behandlung ist, wegen einer sekundären Traumatisierung. Auch Venantie Bisimwa war letztes Jahr zweimal in psychiatrischer Behandlung. Die Folgen der täglichen Arbeit mit Vergewaltigungsopfern und der ständigen Bedrohung des eigenen Lebens. Am nächsten Tag reise ich zurück nach Ruanda. Die Straßen dort sind frisch geteert. Kagame arbeite fleißig an seiner Vision 2020, Kigali soll bis dahin ein ostafrikanisches Chicago geworden sein. Deshalb werden derzeit die Hütten der Armen in der Stadt abgerissen und ihre Bewohner aus der Stadt vertrieben.
Straßenhandel ist untersagt, ohne Schuhe darf das Stadtzentrum nicht mehr betreten werden. Fahrradfahren zu zweit ist verboten, sowieso sind in Kigali nur noch Sporträder erlaubt. Die Medien unterliegen einer strengen staatlichen Zäsur, Oppositionelle “verschwinden“ und die Mitarbeiter von internationalen Organisationen werden bekannter Weise bespitzelt. Trotz des Verbots von Kritik regt sich viel Unmut und Widerwillen im Volk gegen die Regierung. Viele Ruander sagen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Genozid ausbricht. Im Botschaftsviertel von Kigali fühlt man sich wie in Südeuropa, die Botschaft von Amerika ist die größte von allen. Die internationale Hilfe wird von Ruanda mit größter Selbstverständlichkeit angenommen. Überall sieht man die MitarbeiterInnen der internationalen Hilfsorganisationen und die Villen der superreichen Ruander. Woher sie ihren Reichtum haben, frage ich ruandische Bekannte. Aus dem Handel mit Rohstoffen, so die Antwort. Außer Bananen und Kaffee gibt es in Ruanda nicht viel von Wert. Woher kommen denn die Rohstoffe, frage ich also. Aus dem Kongo, natürlich, so die Antwort. Immer häufiger wird Kagame nach der Rolle Ruandas im Kongokonflikt gefragt. Er mag diese Fragen nicht. Dass sich der Genozid aus Ruanda in den Ostkongo verlagert hat und sich Ruanda daran bereichert, ist allerdings kein großes Geheimnis mehr. Eigentlich müsste jegliche Entwicklungszusammenarbeit mit Ruanda schon längt eingestellt sein. Doch keiner will seinen Platz am Pool der Ressourcen freiwillig den anderen überlassen. An der Situation im Kongo wird sich deshalb wohl noch lange nichts ändern.
L.H.Share
Tweet