SALZINSEL is an independent magazine dealing with culture, politics and arts. It includes articles on various themes, events, institutions and artists, but also creative texts, music and visual arts.

Sunday, February 6, 2011

Work it! Ein Körper-Bild von Popmusik

Das Bild von Popmusik ist ständigem Wandel unterworfen. Wie jedes mediale Produkt, verändern sich ein Bild und seine implizierten Bedeutungen über die Zeit hinweg mit der Veränderung der Gesellschaft und ihrer Medienkulturen. Das ist genauso wenig neu, wie die Tatsache, dass jene zu beobachtenden Veränderungen stets begleitet sind von einem Schwall bürgerlich-konservativer Debatten vom Verfall der Kultur.
Ein politisch-ideologischer Begriff von Popkultur als Mittel der Subversion kam erstmals rund um 1968 zu seiner Konjunktur. Jugend- und Popkultur waren plötzlich nicht nur Teil, sondern gleichzeitig Motor und Antriebskraft sowie Ausdrucksmodus politischer Umbrüche. Das revolutionäre Potential schlummert im Bruch mit den Tabus, der Überschreitung von Grenzen, dem Zeigen des bisher Ungesehenen. Das Dilemma unserer postmodernen Kultur besteht nun in der sich radikal beschleunigenden Habituation dieser Provokation und all ihrer Möglichkeiten. Wenn wir heute mit Oma vor dem Bildschirm sitzen und bei diversen Casting-Shows im Hauptabendprogramm 16jährigen Mädchen dabei zusehen, wie sie ihren Körper in Unterwäsche rekeln als hinge ihr Leben davon ab, ist niemand provoziert oder gar schockiert. Sie hat aber eine gute Stimme, heißt es dann.


Waren Rock’n’Roll und Punk charakterisiert durch Subversion und ein hohes Maß an Selbstzerstörung (des eigenen Körpers sowie seiner Inszenierung auf der Bühne), so ist Popmusik heute wieder zum Produkt einer disziplinären Maschinerie mit dem Ziel der Konformität geworden. Harte Arbeit und selbst auferlegte Disziplin führen zum Ziel. Die Plattenbosse selbst sitzen in den Jurys dieser Casting-Shows und trainieren ihre Nachkömmlinge, die alles daran legen, Woche für Woche einen Schritt näher an ihr Ziel zu kommen. Gleichzeitig werden sie bereits vor einem Massenpublikum testgelaufen. Individuelle Anti-Haltung weicht zu Gunsten kollektiver Industrievorstellungen und dem alten Ideal, mit harter Arbeit alles erreichen zu können (soll heißen: einen Platz als Rädchen im System zu ergattern). Die Zurschaustellung des eigenen Körpers und dessen Bild in den Medien hat dabei eine zunehmend prekäre Bedeutung erlangt. Dabei geht es nicht darum, den Verlust der Musik zu betrauern, im Gegenteil, hat doch die besagte Inszenierung von Körpern in der Popkultur immer schon eine essentielle und durchaus subversive Rolle eingenommen. Entscheidend ist lediglich die Form dieses gegenwärtigen, medialen Bildes, das sehr stark von obsessivem Sportsgeist und stählernen Körpern geprägt ist.

Diäten, Fitnessstudios, künstliche Bräune, akrobatische Choreographien und einschlägige Garderoben sind ebenso Teil dieses konformistischen Körperkults wie Schönheitschirurgie. Hinzu kommt – und das scheint das signifikante Neue dabei zu sein – eine gegenwärtig dominante Pornografisierung in Hochglanz-Ästhetik. Von Showgirls über Burlesque bis hin zum etwas einschlägigeren YouPorn: Strapse, Korsetts, High-Heels und Push-up-BHs signalisieren dauerhafte Erregtheit und kokettieren mit dem Verlangen nach Sex. In dieser spielerischen Nachahmung der omnipräsenten Porno-Ästhetik in der Alltagskultur geht es jedoch leider nicht (mehr) notgedrungen um sexuelle Befreiungsschläge oder gar Emanzipation, im Gegenteil, wird doch lediglich ein reaktionäres Bild neu hochstilisiert und reproduziert. Es ist ein einseitiges und dem Unbewusstsein eingeschriebenes Produkt des konditionierten Begehrens, wie ein Reflex, der gleichzeitig Ursache und Ausdruck geworden ist. Ein vorgegebenes Verständnis von Ästhetik ist demnach in diesem Kampf um Popularität nicht länger Ausdruck individuellen Geschmacks, sondern lediglich schablonenhafter Einheitsbrei. Nicht das Distinktive, sondern der gemeinsame Nenner markiert den Weg zum Erfolg. Dont cha wish your girlfriend was hot like me?


Christian Krisper